Freitag, 10. Juni 2011

leben und leben lassen

meine pflaumenerntefreundin hat einmal gesagt, dieser garten, dieser ort sei ein geschichtensammler und -bewahrer. und das erzählte ich gestern abend dem journalistenfreund, als wir auf der terrasse saßen und den ihm versprochenen wein tranken, und er sagte: ja!

auf geheimnisvolle weise sind begegnungen mit anderen menschen, aber auch das alleinsein hier im garten mit anderer bedeutung ausgestattet; es ist, als würde sich hier etwas anderes zeigen, weil es sich zeigen darf. ich denke schon eine ganze weile darüber nach, warum das so ist, was das geheimnis ausmacht. und vielleicht läßt es sich an dieser weißen glockenblume beschreiben:

campanula persicifloria samt sich ganz von allein aus, hat man sie einmal im garten, hat man sie immer. es sei denn, man denkt beim unkrautrupfen zuwenig nach und handelt nach der maxime: kenne ich nicht, wird entfernt. es ist allerdings schon hohe botanische schule, sämlinge zu erkennen, zu wissen, wen man da vor sich hat. hier, in dieser ecke neben der sitzgrotte grübelte ich im letzten jahr über dem kleinen horst von schmalen, dunkelgrünen blättern und kam zu keinem ergebnis, was das sein könnte. obwohl ich diese art glockenblume an anderen stellen im garten habe, hatte ich ein brett vor der erkenntnis. aber ich entschied mich, zu lassen.

wer gärtnert, kümmert sich. er pflanzt, beschneidet, bindet hoch, lenkt, stützt, rupft heraus, kompostiert. und - er läßt. wer nicht läßt, gärtnert nicht, ganz einfach. dieses seinlassen ist aber das schwerste überhaupt, weil es immer mit einem risiko verbunden ist. lasse ich die maiglöckchen tun, was sie möchten, dann habe ich in zwei jahren nur noch maiglöckchen im garten. sie sind auf meinem boden so dominant, daß alles andere von ihnen umschlungen und erstickt wird. pfirsichblättrige glockenblumen sind ganz andere geschöpfe: sie ordnen sich ein, sie stören mit ihren schmalen blättern keine andere pflanze bei ihrer entfaltung, sie kommen mit geringstem platz aus und haben das talent, sich aus bescheidener haltung heraus zu großer schönheit aufzuschwingen.

ich entscheide, und mein garten entscheidet auch. und das betrifft nicht nur die pflanzen, sondern auch die tiere. wir bauten diese betonbank an den terrassenrand und entschieden, keine geschlossenen schlußsteine zu setzen, sondern das ganze als tunnel zu lassen. jetzt laufen die igel dort hindurch, und im winter, wenn schnee liegt, sehen wir katzenpfotenabdrücke an beiden enden der bank/des tunnels.

mir scheint, daß dieser umgang mit unserem garten sich nicht nur uns, sondern auch unseren besuchern mitteilt. wobei mein vater eher mit stirnrunzeln über den weg geht, auf dem ich einen ausgesamten ziersalbei blühen lasse zwischen den wegplatten, während der journalistenfreund sich selbst nachts darum bemüht, nicht auf die pflanze zu treten, wenn ich ihn aus dem haus rufe, um ihm den polarstern zu zeigen...

besser kann ich es nicht erklären. naja, eigentlich möchte ich es auch nicht. es läßt sich ja begreifen, nicht wahr?

2 Kommentare:

Brigitte@KlasseImGarten hat gesagt…

"...und - er läßt. wer nicht läßt, gärtnert nicht, ganz einfach. ..."

einer der schönsten sätze über das gärtnern, die ich bis jetzt gelesen habe.

im|uebrigen hat gesagt…

Es zeigt sich, was sich zeigen darf
und was versteckt sein will, mag sich verstecken.
Ein Dach wird finden, der eins sucht
und weiße Glockenblumen in den Ecken.